Wasserkraft & Biodiversität

Wasserkraft & Biodiversität

 

Oder: Warum ist die Ötztaler Ache überhaupt schützenswert – Teil 2

Studienergebnisse zeigen eindeutig, dass wir in einer Biodiversitätskrise stecken: Die Artenvielfalt bzw. die biologische Vielfalt des Lebens auf der Erde geht in einem alarmierenden Tempo verloren.

Die Populationsgrößen von Säugetieren, Vögeln, Fischen, Amphibien und Reptilien haben seit 1970 einen alarmierenden durchschnittlichen Rückgang von 68% erlebt, der durchschnittliche Rückgang der Süßwasserarten beträgt sogar 84%. Gesunde Flüsse, Seen und Feuchtgebiete sind für die Menschen auf der ganzen Welt von großem Nutzen – für Landwirtschaft, Industrie, Trinkwasser, sowie für vielfältige Flora und Fauna: sie sind ein Zuhause für etwa 1 von 10 bekannten Tieren. Die Artenvielfalt der Süßwasserpopulationen nimmt jedoch viel schneller ab als überall anders. Süßwasserarten leiden unter der fortschreitenden Zerstörung von Lebensräumen durch Umweltverschmutzung und Veränderungen von Flussläufen und Seen sowie dem weltweit in erschreckendem Tempo voranschreitendem Ausbau der Wasserkraft. Schon heute ist 1 von 3 Süßwasserarten vom Aussterben bedroht.

Auch für Österreich zeichnet sich ein besorgniserregendes Bild: Eine neue Studie der Universität für Bodenkultur (BOKU) belegt den drastischen Lebensraum-Verlust für gefährdete Arten an und in Österreichs Flüssen. Aufgrund jahrelanger Fehlentwicklungen können Flüsse nur in 17 Prozent des gesamten Gewässernetzes ohne Hindernisse frei fließen, weniger als 15 Prozent befinden sich in sehr gutem ökologischem Zustand und lediglich ein Prozent wird von ökologisch bedeutenden, intakten Auen begleitet. Rund 60 Prozent der heimischen Fischarten gelten heute als gefährdet. Laut der BOKU-Studie sind die Rückzugsräume für gefährdete Arten nur mangelhaft oder gar nicht vor weiterer Verbauung geschützt. Als einer der Hauptfaktoren für die starke Belastung der Natur in Österreich wird der massive Wasserkraft-Ausbau genannt: Flüsse sind zu stark reguliert und verbaut, vor allem durch die mehr als 5.200 Wasserkraftanlagen in Österreich. Dennoch sind sogar hunderte neue Kraftwerke geplant und das oft auch noch in ökologisch sensiblen Gebieten, selbst im Umfeld von Schutzgebieten sind neue subventionierte Kraftwerke geplant. Der WWF prangert an, dass jährlich Millionen Euro in den Bau von ineffizienten Kraftwerken an den falschen Standorten fliessen.

In einem offenen Brief forderten deshalb dieses Jahr mehr als 60 WissenschafterInnen, ExpertInnen der Gewässerökologie und Biodiversität an mehreren Instituten Österreichs, eine differenzierte Beurteilung der Wasserkraft im Rahmen der Dekarbonisierung. Die WissenschafterInnen stellen klar, dass ein mit den ökologischen Zielen nicht abgestimmter weiterer Ausbau der Wasserkraft dem Prinzip der nachhaltigen Entwicklung widerspricht und eine potentiellen Verschärfung der Biodiversitätskrise in Fließgewässern sowie einer weiteren Verschlechterung des ökologischen Zustandes zur Folge hätte. Sie fordern, dass großer ökologischer Schaden bei gleichzeitig geringer Energieausbeute – oft ein Merkmal insbesondere kleiner Wasserkraftwerke – in Zukunft verhindert werden muss.

Was hat das jetzt nochmal mit der Ötztaler Ache zu tun, fragt ihr euch?

Die Ötzaler Ache ist der größte bisher noch frei fließende Fluss Tirols, sie ist ökologisch durchgängig und damit tragische einzige Ausnahme im TIWAG-Land. Die vom Kraftwerk Tumpen-Habichen betroffene Strecke, die (oberen) Achstürze, wird laut „Naturschutzplan der Fließgewässerräume Tirols“ als ‚empfindlich‘, ’sensibel‘ und ’schützenswert‘ eingestuft. Wir stecken mitten in einem Artensterben, das sich am schlimmsten auf Süßwasserpopulationen auswirkt. Wissenschaftler weisen auf einen Zusammenhang zwischen dem weiteren Ausbau der Wasserkraft und der Biodiversitätskrise hin und fordern insbesondere die Einstellung der Errichtung weiterer Kleinwasserkraftwerke.

Und trotzdem sind an der Ötztaler Ache 7 Ausleitungen geplant und ein Laufkraftwerk – das zu allem Übel auch noch mit Absicht mit kleinerer Leistung geplant wurde als potentiell vorhanden wäre, um eine Umweltverträglichkeitsprüfung zu umgehen. 

 

Quellen und Links:

Wasserkraft contra Biodiversität – offenen Brief von mehr als 60 WissenschafterInnen

Living Planet Report / Freshwater 

Living Planet Report / Freshwater Deepdive (pdf)

WWF fordert Rettungsplan: Neue BOKU-Studie zeigt leises Sterben in Österreichs Flüssen

Studie „Ausweisung wertvoller Gewässerstrecken in Österreich und deren Schutzstatus“ – Universität für Bodenkultur Wien 2020 (pdf)

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