In einem der größten UVP-Verfahren der letzten Jahre in Tirol, wurde vergessen, einige sehr wesentliche, kumulative Wirkungen der geplanten Wasserableitungen auf andere bestehende Kraftwerke im Flusssystem der Ruetz und Sill zu überprüfen. Es wurden zwar die wirtschaftlichen Verluste der unterhalb liegenden Kraftwerke (und das sind immerhin 4 Kraftwerke: IKB Ruetzwerk, IKB Zwischenkraftwerk, IKB Untere Sill und das Kraftwerk Sillpark) eingerechnet, nicht aber die Konsequenzen, die sich daraus für die Fließgewässer entlang der jeweiligen Ausleitungsstrecken ergeben. Es wurde nicht untersucht, wie viel Wasser in Zukunft unterhalb des IKB Kraftwerks ‚Ruetz‘ und damit durch die Sillschlucht fließen wird.
Die Situation unterhalb dieses Kraftwerkes (KW) ist kompliziert, da hier insgesamt fünf KW’s miteinander vernetzt sind, und sich gegenseitig Wasser zuleiten.
Bei allen betroffenen Kraftwerken unterhalb der geplanten Ableitungen der TIWAG, handelt es sich um Kraftwerke, die unabhängig vom Zufluss immer eine bestimmte Menge an Wasser entnehmen (zwischen 10m³/s und 32,4m³/s). Meist müssen sie eine bestimmte Menge an Wasser als Pflichtwasserabgabe (oder ‚Dotierwasser‘) im Flussbett belassen. Wenn also genau 10 m³/s Wasser im Flussbett fließen und ein Kraftwerk theoretisch 10m³/s entnehmen könnte, aber 0,3m³/s im Flussbett belassen muss, dann darf es also 9,7m²/s Wasser zur Energieerzeugung nutzen.
Teilweise gibt es bei diesen Kraftwerken aber nicht einmal eine vorgeschriebene Pflichtwasserabgabe. Wenn nun weniger Wasser von oben kommt, als die Wasserfassung entnehmen kann, ist das Bachbett hinter der Wasserfassung komplett trocken (im Falle des KW IKB Ruetzwerk) oder es befindet sich nur die gesetzlich vorgeschriebene Dotierwassermenge im Fluss (z.B.: KW IKB Untere Sill).
Dies ist aktuell in der Ruetzschlucht und der Sillschlucht in einem durchschnittlichen Jahr von Mitte September bis Anfang Mai der Fall.
Zur Zeit (also im Ist-Zustand) gibt es an der Ruetz von Mitte Mai bis Anfang September eine Überwasser-Situation. Dies bedeutet, dass die Ruetz mehr Wasser bringt, als das entsprechende Kraftwerk aufnehmen kann.
Da die Ruetz in die Sill fließt, und die Sill oberhalb der Einmündung der Ruetz im Sommer komplett für das KW Untere Sill eingezogen wird, ist dieses Überwasser das einzige Wasser, nicht nur für die Ruetz, sondern auch für die Sill unterhalb der Ruetzmündung. Das Wasser, das durch die Sillschlucht fließt, ist also in erster Linie das Überwasser der Wasserfassung IKB Ruetzwerk.
Und genau an dieser „Überwasser-Situation“ wird sich in Zukunft etwas ändern, denn das Überwasser wird durch die Wasserableitung im hinteren Stubaital an vielen Tagen im Jahr weniger werden. Dadurch wird also das Wasser unterhalb des IKB Kraftwerks ‚Ruetz‘ und in der Sillschlucht weniger werden.
Hier ein realistisches Beispiel:
Die Sill bei Innsbruck hat einen Druchfluss von 42m³/s. Davon fließen 32,4m³/s bereits jetzt in das Kraftwerk IKB Untere Sill. Es bleiben also noch 9,6m³/s über, die durch die Sillschlucht fließen. Bei einem solchen Durchfluss ist im Sommer davon auszugehen, dass davon mindestens 9,3m³/s in Form von Überwasser des KW IKB Ruetzwerk aus der Ruetz kommen. Im schlimmsten Fall reduziert sich nun diese Menge Wasser um 3,6m³/s (Summe aller geplanten max. Ableitungen im hinteren Stubaital). Dies bedeutet dass wir in diesem Fall nicht mehr 9,6m³/s sondern 6m³/s Durchfluss in der Sillschlucht haben würden.
Besonders problematisch wird diese Tatsache, wenn man sich die Situation in der Sillschlucht anschaut. Diese wird von der Innsbrucker Bevölkerung als Erholungsraum genutzt, im Sommer wird hier gerne und häufig gebadet. Die Sillschlucht liegt aber außerhalb des Untersuchungsgebietes der UVP. Es wurden hier also keine Untersuchungen darüber angestellt, wie sich die veränderte Wasserführung in der Schlucht auf den Freizeit- und Erholungswert auswirkt. Auch wurde nicht geprüft, ob sich die Wasserableitungen im hinteren Stubaital negativ auf den ökologischen Zustand der Sillschlucht auswirken könnten.
Die Bürgerinitiative „WildeWasser“ hat im Zuge der mündlichen Vernhandlung die UVP-Behörde auf die Überwasser-Problematik unterhalb des ÖBB Kraftwerkes Fulmpes hingewiesen. Daraufhin wurde das Projekt von der TIWAG modifiziert und mit der ÖBB vereinbart, dass die ÖBB in Zukunft immer um die Wassermenge weniger für ihr Kraftwerk entnimmt, die die TIWAG im hintersten Stubaital ableitet. Dadurch verändert sich die Überwasser-Situation zumindest auf der ersten Ausleitungsstrecke der Ruetz nicht. Somit konnte die Bürgerinitiative „WildeWasser“ einen ersten großen Teilerfolg erzielen und eine der beliebtesten Kajakstrecken Tirols retten.
Leider kann mit dieser Projektmodifikation nur die aktuelle Überwasser-Situation auf einer Fließstrecke von circa 7km garantiert werden. Unterhalb der Rückgabe des ÖBB-Kraftwerkes Fulpmes, fließt das Wasser der Ruetz gleich in das nächste Kraftwerk (IKB Untere Sill) und man steht wieder vor dem selben Problem.
Die Sillschlucht wird von Badegästen, Wildwassersportlern und Erholungssuchenden sehr intensiv verwendet und ist eines der wichtigsten Naherholungsgebiete im Stadtgebiet von Innsbruck. Die Bürgerinitiative „WildeWasser“ geht davon aus, dass es durch die zusätzlichen Wasserableitungen im hinteren Stubaital zu erheblichen Beeinträchtigungen im Bereich der Sillschlucht kommen wird und kritisiert mit Recht, dass dieser Bereich im gegenständlichen UVP-Verfahren nicht untersucht wurde.
Die während der mündlichen Verhandlung gestellten Anträge, das Untersuchungsgebiet auf den Bereich unterhalb des KW Fulpmes bis nach der Sillschlucht auszuweiten und alle Prüfgutachter zu beauftragen, ihre Gutachten um dieses Gebiet zu ergänzen, wurden zum Abschluss der mündlichen UVP-Verhandlung abgelehnt.