Es ist Anfang Januar 2021. Am Kraftwerk Tumpen-Habichen wird nach wie vor in rasantem Tempo gebaut - obwohl immer noch gerichtliche Entscheidungen ausständig sind. Offen ist sowohl die Entscheidung zur Revision der wasserrechtlichen Bewilligung, als auch die Entscheidung zur naturschutzrechtliche Bewilligung, gegen die der WWF im Juli 2020 eine außerordentliche Revision beantragt hatte.
Da sich im Frühling und Sommer die Ereignisse überschlagen haben und der eine oder die andere vielleicht den Überblick verloren hat: hier noch einmal die wichtigsten Gründe, weshalb wir uns gegen das Kraftwerk wehren.
Die Ötztaler Ache ist ein besonderer Fluss
Die Ötztaler Ache ist der größte frei fließende Gletscherfluss Tirols. Ihr Einzugsgebiet ist zu 13% von Gletschern bedeckt, dies macht ihren Abflusscharakter sehr speziell. Die Gefällstufe zwischen Tumpen und Habichen – der Tumpener „Gstoag“ bzw. die Oberen Achstürze – die durch das Kraftwerk zur Restwasserstrecke degradiert wird, sind im Tiroler Naturschutzplan Fließgewässer als einzigartig, empfindlich und als sehr erhaltenswürdig eingestuft. Sie gehört zu den 3% der Tiroler Gewässer, die laut ‚Naturschutzplan der Fließgewässerräume Tirols‘ als selten eingestuft werden. Außerdem zu den nur 0,6% derer, die als einzigartig eingestuft werden. Die betroffene Gewässerstrecke ist ein „sehr seltener Gewässernaturraumtyp“ und der Biotoptyp dem die Strecke zuzuordnen ist („Gestreckter Gebirgsfluss“) steht als „stark gefährdet“ auf der Roten Liste gefährdeter Biotoptypen Österreichs.
Das Wasserkraftwerk Tumpen-Habichen wird als erstes Kraftwerk in der Ötztaler Ache ihre ökologische Durchgängigkeit unterbrechen. Damit werden sich die als sehr gut bewerteten hydromorphologischen Qualitätskomponenten "Durchgängigkeit (Sedimenttransport)" und "Wasserhaushalt" um eine Klasse verschlechtern. Dies stellt einen Bruch mit der Europäischen Wasserrahmenrichtlinie dar. Mehr dazu lest ihr in unserem Blogbeitrag "E-Mail Aktion gegen das Kraftwerk Tumpen-Habichen!" vom 09. April 2020.
Zudem zählt die Ötztaler Ache zu den 74 "Flussheiligtümern" Österreichs was sowohl ihren Wert für das Land Österreich als auch ihre Schützenswürdigkeit manifestiert.
Kurz gesagt: die Ötztaler Ache ist ein besonderer Fluss und wir sollten sie schützen!
Kein geologisches Gutachten für geologisch hoch sensibles Gebiet
Spätestens seit der Studie der Geologen Poscher und Patzelt "Erdfälle in den Lockersedimenten des Ötztals" aus dem Jahr 1996 ist bekannt, dass der Ort Tumpen auf fragilem Untergrund steht. Große Blöcke zusammen mit feinerem Material bilden einen Untergrund voller Hohlräume, der so lange stabil ist, wie er nicht angerührt wird. Wenn aber Wasser eindringt, dann kann dieses das Feinmaterial abtransportieren, was wiederum dazu führt, dass von oben Material nach rutscht und sich an der Oberfläche Erdlöcher auftun können. Dies ist in der Vergangenheit schon häufig passiert - Erdlöcher von bis zu 10.000m³ Größe! Und auch die Ötztaler Ache ist bei solchen Ereignissen schon versickert, also zum Teil unterirdisch geflossen. Mehr dazu findet ihr hier in unserem Blogbeitrag vom 19. April 2020 "Das Kraftwerk und die Erdlöcher".
Gab es also ein geologisches Gutachten, für das Erkundungen durchgeführt wurden und das absichert, dass Bauarbeiten sicher durchgeführt werden können?
Nein, gibt es nicht. Stattdessen hat sich die Ötztaler Wasserkraft GmbH von einem damals schon pensionierten Universitätsprofessor bescheinigen lassen, dass die Bauarbeiten gefahrlos durchführbar sind. Dieser fertigte eine "Studie" an, die allerding fast wortwörtlich ein Plagiat der Studie von Poscher und Patzelt ist. Ein Großteil der "Studie" ist einfach wörtlich abgeschrieben, sie weicht nur in einem Punkt vom Original ab: nämlich im Fazit, dass der Bau des Wehres und des Einlaufbauwerks problemlos durchführbar sei.
Wir halten das für fahrlässig. Finanziell, da gar nicht absehbar ist, zu welchen Mehrkosten es beim Bau kommen kann. Und fahrlässig insbesondere den Tumpener Anwohnern gegenüber.
Naturschutzrechtliche Bewilligung wurde gegen Expertenmeinungen politisch durchgesetzt
Im Jahr 2015 wurde für das Wasserkraftwerksprojekt Tumpen-Habichen an der Ötzaler Ache ein positiver naturschutzrechtlicher Bescheid ausgestellt. Darin wird genau dargelegt, weshalb es sich bei der geplanten Ausleitungsstrecke, den oberen Achstürzen, aus naturschutzfachlicher Sicht um einen sehr schützenswerten, empfindlichen und einzigartigen Gewässerabschnitt handelt. Gleichzeitig wir nur geringes langfristiges öffentliches Interesse festgestellt. Damit wäre das Erteilen der Genehmigung eigentlich nicht mehr möglich. Aus politischen Gründen wurden jedoch diese rationalen Argumente ignoriert und die Bewilligung durch die Tiroler Landesregierung dennoch erteilt!
Mehr dazu findet ihr in unserem Blogbeitrag vom 07. Mai 2020 "Politik wider besseres Wissen".
Bedrohung der Kajakstrecke Wellerbrücke durch Ausleitung und Stauraumspülungen
Die Wellerbrückenstrecke beginnt auf Höhe der unteren Straßenkehre zwischen Tumpen und Habichen, und liegt weniger als einen Kilometer unterhalb des geplanten Wehrs. Der erste Teil der Wellerbrückenstrecke ist damit direkt von der Ausleitung betroffen. Das sind ca 400m und von der Gesamtstrecke fast ein Drittel, auch wenn der größere Teil des steilen Wildwassers unterhalb der geplanten Wiedereinleitung liegt. Wenn die TIWAG argumentiert, die WM-Strecke der Kajakfahrer sei "vom Kraftwerk nicht betroffen", da sie unterhalb der Wiedereinleitung liege, dann werden hier zwei Punkte ignoriert:
- Die WM-Strecke ist nur ein kleiner Teil der Wellerbrückenstrecke.
- Auch der Teil der Kajakstrecke, der unterhalb der Wiedereinleitung liegt, wird durch den Kraftwerksbetrieb beeinflusst werden.
Wir Kajakfahrer befürchten schwankende Wasserstände auf der Wellerbrückenstrecke, insbesondere durch Stauraumspülungen. Da die Strecke auf Grund ihrer Verblockung und ihres Gefälles sehr schwierig ist, bedeuten hier kleinste Wasserstandänderungen Lebensgefahr für Kajakfahrer. Aus diesem Grund gehen wir davon aus, dass die gesamte Wellerbrückenstrecke für uns Kajakfahrer verloren geht, sobald das Kraftwerk in Betrieb genommen wird.
Die Betreibergesellschaft hat sich hierzu noch nicht geäußert. Wir haben daher schon im Juni einen Experten gebeten, uns seine Einschätzung zu möglichen Auswirkungen des Kraftwerkbetriebes zu geben. Unsere Befürchtungen hat diese Expertenmeinung nicht entkräftet, im Gegenteil.
Lest hier über die mögliche Veränderung des Sedimentregimes und zu erwartende Schwall und Sunk Effekte: Blogbeitrag vom 25. Juni 2020 "Hydromorphologische Stellungnahme zu Stauraumspülungen". Die Stellungnahme des Ingeneurbüros UHM River Engineering findet ihr hier.
Quellen und Links
Blogbeitrag "Naturschutzrechtliche Bewilligung für das Wasserkraftwerk Tumpen-Habichen", Tiroler Umweltanwaltschaft 2015
Webseite "Naturschutzplan Fließgewässer", Tiroler Landesregierung, Abteilung Umweltschutz
Blogbeitrag "WWF weiht Flussheiligtum Ötztaler Ache ein", WWF Österreich 2013